Irgendwie stimmen die Proportionen nicht. Wunderschön prächtig auf einem Hügel an der Gennerstraße gelegen, scheint das Längsschiff der katholischen Pfarrkirche St. Martinus in Hürth-Fischenich zu lang und zu hoch, der Turm dagegen zu klein, zu gedrungen geraten. Wie konnte es dazu kommen?
Gegen Ende des 12. Jahrhunderts muss wohl die alte Kirche in Form einer romanischen, dreischiffigen Pfeilerbasilika in einem Weingarten errichtet worden sein. Dieser gehörte dem Kölner Kloster und späteren Stift St. Maria im Kapitol. Als noch ältere Vorgängerin soll das Kölner Kloster wohl schon in merowingischer oder karolingischer Zeit (um 500 bis gegen 1000 n. Chr.) an gleicher Stelle eine Kapelle besessen haben. Eine Urkunde aus dem Jahre 1316 weist nach, dass damals schon in Fischenich eine „parochia“ (Pfarrgemeinde) bestand.
Die alte Kirche aus dem 12. Jahrhundert war aus Trassstein mit einem schmalen Mittelschiff und einer halbkreisförmigen Apsis (Chor, Altarraum), die nach Osten ausgerichtet war. Seitlich schlossen sich zwei Abhänge mit niedrigen Pultdächern an. Während das Längsschiff nahezu 700 Jahre überdauerte, wurden die Seitenschiffe bereits 1523 verlängert, bis zur Höhe des Mittelschiffes hochgezogen und mit neuen Satteldächern versehen.
Im Jahre 1728 wurde dann der heutige Kirchturm anstelle eines alten und baufälligen Vorgängers errichtet und ist heute (2012) stolze 285 Jahre alt.
Für eine neue größere Kirche sprach dann im 19. Jahrhundert die Bevölkerungsentwicklung des Bauerndorfes Fischenich. Wurden 1825 insgesamt 200 Häuser und 900 Einwohner gezählt, so waren dies 1843 bereits 247 Häuser mit 1.297 Bewohnern und 1885 schließlich 293 Wohnhäuser und 1.537 katholischen Einwohnern. Einschließlich 2 evangelischen und 3 jüdischen Bewohnern sowie der Bewohner vom Weilerhof betrug die Gesamtzahl der Einwohner sogar 1597.
Am 14. Juli 1885 legte der Kölner Baumeister und spätere Straßburger Dombaumeister Franz Schmitz dem Kirchenvorstand einen Bauplan für eine neue Kirche vor. Für 30.000 Mark sollte an Stelle der alten romanischen Pfeilerbasilika am gleichen Ort eine neugotische dreischiffige Kirche aus Ziegelsteinen entstehen.
Am 28. April 1888 (Weißer Sonntag) wurde in der Längsachse der Kirche in der Chorwand der Grundstein gelegt. Weil die Kirchengemeinde Fischenich bedürftig war, genehmigte die Erzbischöfliche Behörde 1889 eine Kollekte in allen 45 Dekanaten des Erzbistums Köln (damals noch einschließlich der heutigen Bistümer Aachen und teilweise Essen). Dabei kamen 6.910,14 Mark zusammen, die an die Pfarrgemeinde überwiesen wurden.
Das reichte nicht für eine neue Kirche. Daher wurde bei der Königlich-Preußischen Regierung, vertreten durch den Regierungspräsidenten, eine zweite Sammlung als „Hauskollekte“ beantragt, die in der gesamten Rheinprovinz von Essen bis Saarlouis und von Wipperfürth bis Malmedy durchgeführt werden durfte. Diese Hauskollekte erbrachte 19.608,93 Mark. Beide Sammlungen zusammen ergaben einen Gesamtertrag von 26.219,07 Mark.
Damit war es nun möglich, die ganze Kirche neu zu bauen. Allerdings reichten die Mittel nicht für eine neue Inneneinrichtung oder einen neuen Kirchturm. Die Gemeinde war bettelarm und so blieb nur die Lösung, den alten Kirchturm weiter zu nutzen. Dem Baumeister war es vorbehalten, die zu hohe Kirche an den kleinen Turm anzupassen.
Ursprünglich gingen die acht Kanten des Turmhelmes bis auf das Mauerwerk herunter, wo heute noch die alten nutzlos gewordenen Schalllöcher zu sehen sind. Direkt auf dem Mauerwerk wurde dann 1929 im Zusammenhang mit der Anschaffung von drei neuen Glocken oberhalb des Mauerwerkes eine neue hölzerne Glockenstube mit neuen Schalllöchern als Zwischengeschoss eingebaut. Darüber blieb der bisherige Turmhelm erhalten, der nun jedoch kürzer und gedrungener als vorher wirkt. Im Inneren blieben die tragenden Balken unverändert. Durch das leicht zurücktretende Zwischengeschoss fällt trotzdem auf, dass der gesamte Turm gegenüber dem Kirchendach eigentlich zu niedrig ist.
Und so leben wir Fischenicher nun mit einem proportional zum Kirchenschiff zu kurz geratenen, gedrungenem Turm.
Die Pfarrkirche wurde 1973 bis 1975 umfassend renoviert, umgebaut und erweitert. Mitten in die alte Bausubstanz wurde ein neues Querschiff eingefügt. Die alte historische Orgel aus dem Kloster Benden erhielt einen neuen Standort im Seitenschiff. Während der gesamten Bauzeit konnte das Gebäude weiterhin für Gottesdienste genutzt werden. Nach der Erweiterung steht nun der Altar, der am 11. November 1979 durch den Weihbischof Augustinus Frotz geweiht wurde, im Mittelpunkt der Gemeinde.
1990, zum 100. Geburtstag, erhielt die Kirche durch den Brühler Malermeister Günter Rattay einen farbenfrohen Innenanstrich, der unser Gotteshaus in neuem Glanz erscheinen lässt.
Helmut Görtz
Quellen:
Pfarrer Robert Wilhelm Rosellen, von 1865 – 1887 Pfarrer in Fischenich: Die Geschichte der Pfarreien des Dekanates Brühl (1887); Ernst Krause, von 1961 – 1991 Pfarrer in Fischenich: Studium der Kirchenbücher von St. Martinus, Fischenich; Günter Strom: 100 Jahre Pfarrkirche St. Martinus Fischenich (Jubiläumsschrift der Pfarrgemeinde 1990)