Die Hagelprozession

Nachweislich gibt es in Fischenich mindestens seit 1736 eine Hagelprozession. Dies belegt eine Urkunde aus diesem Jahr. Danach wurden „Vergehen wider die Religion und die guten Sitten“ hart geahndet. Wer auf “Gottestracht oder Hagelfeier nicht in Person erschien”, musste ein Pfund Wachs als Strafe zahlen. Darüber wachte der Pastor.

Die Hagel-Prozession zur Abwendung von Hagelschaden fand früher am Nachmittag des Pfingstmontags statt, schrieb der bedeutende Historiker und Heimatforscher Robert Wilhelm Rosellen (1829 – 1909), Pfarrer in Fischenich von 1865 bis 1887, in dem Standardwerk von 1887 “Geschichte der Pfarreien des Dekanates Brühl”, wozu damals auch Fischenich gehörte. Handschriftlich wurde dort später nachgetragen, dass der Pfarrer Kornelius Wirtz (1868 – 1950), Pastor in Fischenich von 1923 bis 1938, die Hagelprozession dann vormittags durchgeführt hat.

Auf dem fruchtbaren Lößboden und in dem milden Klima der Kölner Bucht hat der Gemüseanbau eine jahrhundertealte Tradition. Schon die Römer versuchten sich in Fischenich am Weinbau, betrieben die Karthäusermönche Ackerbau und Fischzucht. Bereits gegen Ende des 7. Jahrhunderts war Fischenich durch Plektrudis, die Gattin von Hausmeier Pipin von Heristal, an das von ihr gegründete Stift Maria im Capitol zu Köln gekommen. Im frühen Mittelalter gab es hier mehrere stattliche Lehensgüter, die einen Höfeverband mit dem Fronhof als Mittelpunkt bildeten. Weitere Güter waren der Zudendorfer Hof, der Kuzhof, der Karthäuserhof, der Frenzerhof, der Konraderhof und der Weilerhof. Dabei gehörte die Herrlichkeit Fischenich mit 690 Hektar zum Amt Bergheim im Herzogtum Jülich.

Die juristischen Interessen des Großgrundbesitzes wurden durch ein “ungebotenes Geding”, ein Gericht, welches zweimal jährlich auf dem Fronhof tagte, vertreten.  Die kleinen Ackersleute  von Fischenich hatten sich zu einer “Bauerbank” vereinigt, um dort ihre ländlichen Angelegenheiten zu regeln. Dreimal jährlich wurde das Bauergeding stets am selben Platz, der “Bauerbank”,  gehalten. Die Straße heißt heute noch so.
Die Regeln, nach denen die “Kappesbuure” Vergehen, Eigentumsdelikte, “Mängel am Gottesdienste und der Kirche” ahndeten, sind in einer Abschrift aus dem 16. Jahrhundert erhalten. Von daher wissen wir, dass eine Strafe von einem Pfund Wachs fällig wurde, fehlte ein Nachbar bei der Hagelprozession.

Obwohl die Teilnahme an der Hagelprozession sicherlich spätestens seit der Besetzung des Rheinlandes durch den Kaiser Napoleon freiwillig war, hat sich die Beteiligung heute auf etwa rund 60 – 80 Teilnehmer eingependelt. Vor einigen Jahren gingen vielleicht noch 300 Gläubige mit. Mit dem Strukturwandel in der Landwirtschaft und dem Rückgang der sonntäglichen Kirchenbesucher gingen auch hier die Teilnehmerzahlen zunächst deutlich zurück, haben sich inzwischen aber unter Pfarrer Reinhold Steinröder erfreulicherweise stabilisiert.

Der rund 6 km lange Prozessionsweg führt am Nachmittag des Pfingstmontages von der Kirche durch die Felder zwischen Fischenich und Meschenich und endet mit einer Messfeier auf dem Hof eines Landwirtes. Die Prozession wird angeführt von Messdienern mit dem Kreuz und Fahnen sowie dem Pfarrer. Es folgen die Prozessionsteilnehmerinnen und -teilnehmer bunt gemischt.

Gebetet wird der Rosenkranz:
1. Gelobt und gebenedeit sei die allerheiligste Dreifaltigkeit;
2. Bitte für uns hl. Donatus (Schutzpatron der Bauern);
3. Bittet für uns hl. Martin und Antoni.

Nach Aussage älterer Fischenicher ist die Hagelprozession auch während der beiden Weltkriege gegangen. Lediglich bei sehr schlechtem Wetter wurde der Prozessionsweg gekürzt oder fand in der Kirche statt.

Fischenich ist weit und breit die einzige kath. Kirchengemeinde, in der heute noch eine Hagelprozession durchgeführt wird. Jedenfalls ist den Fischenichern keine weitere Gemeinde bekannt, in der noch eine Hagelprozession geht.

Noch 1996 gab es in Fischenich trotz erheblicher Veränderungen und struktureller Wandel eine florierende Landwirtschaft mit etwa 18 Haupterwerbsbetrieben sowie einigen Höfen, in denen Gemüseanbau noch im Nebenerwerb betrieben wird.

Angebaut wurden früher hauptsächlich Möhren, Spinat, alle Kohlarten, Bohnen, Petersilie, Kohlrabi, Sellerie, Porree, Kartoffeln und Zwiebeln. Später kamen Brokkoli, Chinakohl und Fenchel hinzu. Inzwischen gibt es starke Konzentrationen auf frühen Spargel (auf beheizten Feldern) und Kürbisse aller Art. Von 1928 bis 1971 kamen auch viele Landwirte aus den Nachbardörfern nach Fischenich zur “Obst- und Gemüseabsatzgenossenschaft “, um dort ihre Erzeugnisse zu versteigern. Seit der Fusion mit der Versteigerung in Roisdorf müssen die Bauern ihre Erzeugnisse nunmehr dort vermarkten.

Die ländliche Tradition des Ortes ist in dem Necknamen “Kühlhatsche” (= Kohlschneider), wie die Fischenicher von den Nachbarn ironisch-spöttisch geneckt werden, heute noch lebendig. Auch das Blasorchester der KG Blau-Weiß Fischenich von 1957 e.V., welches 1993 mit dem Kulturpreis der Stadt Hürth ausgezeichnet worden ist, trägt eine bäuerliche Tracht im ländlich-festlichen Folklorestil.

Trotz aller Veränderungen und Entwicklungen fühlen sich die Fischenicher ihrer natürlichen bäuerlichen Umwelt aber auch heute noch sehr verbunden. So ist die jahrhundertealte Hagelprozession, die mindestens seit 1736, also heute (2012) seit 276  Jahren, vielleicht aber auch noch länger, in Fischenich stets an Pfingstmontag durchgeführt wird, Ausdruck des rheinischen Glaubens und gleichzeitig ein Zeichen lebendigen ländlichen Brauchtums.

Leider haben die vielen Hagelprozessionen nicht immer gegen die Unbillen des Wetters geholfen. Im Juli 1996 zerstörten heftige Hagelschauern mit taubeneigroßen Hagelkörnern in der Fischenicher Bauernsiedlung zahlreiche Glasgewächshäuser. Auch die Pflanzen in den Gewächshäusern waren durch die Glasscherben  nicht mehr zu gebrauchen. Der finanzielle Schaden, der nur teilweise durch Versicherungen gedeckt war, war für die betroffenen Landwirte beträchtlich.

Helmut Görtz

Quelle
Artikel von Anneliese Kreuzberg,
aufgezeichnet 1996 von Helmut Görtz, dem damaligen
Leiter des Kulturamtes der Stadt Hürth. Frau Kreuzberg
ist 2001 nach schwerer Krankheit verstorben.

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